Bericht zum World Nuclear Victims Forum, Hiroshima, 21.-23. November 2015

29. Dezember 2015 Artikel, Blog-Beiträge

Aus Anlass des 70. Jahrestages der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki wurde dieses Ereignis vom World Nuclear Victims Forum Executive Committee (WNVF) organisiert. Das Gremium setzte sich aus verschiedenen Einzelpersonen zusammen – Repräsentanten der Anti-Nuklear-Bewegung in Japan, u.a. Nobuo Kazashi von ICBUW (Int. Coalition to Ban Uranium Weapons). Unser Sprecher Prof. Manfred Mohr war als Vertreter von ICBUW und IALANA Deutschland zur Teilnahme eingeladen.

Im Vorfeld der Veranstaltung fand am 18. November in Tokio ein Arbeitstreffen mit der japanischen Sektion der IALANA (JALANA=Japanese Association of Lawyers Agains Nuclear Arms) statt. In seinem Vortrag erläuterte Manfred Mohr die organisatorisch-inhaltliche Entwicklung von IALANA zu ICBUW, die aktuell in einem breiteren Vernetzungsansatz zum Thema „Toxic remnants of war“ (TRW) mündet. Er beschrieb die Potenziale aber auch die Risiken eines solchen Ansatzes, der größere Kooperationsmöglichkeiten eröffnet, etwa im Hinblick auf den Themenbereich Agent Orange oder das Internationale Uranium Filmfestival [weiterlesen].

Das World Nuclear Victims Forum fand in einem großen, hervorragend organisierten Rahmen statt. Flankiert wurde es (u.a.) von der Ausstellung „Hibakusha [Atomopfer] Weltweit“ der deutschen IPPNW (www.ippnw.de/hibakusha-weltweit). Präsentationen und Diskussionen waren verschiedenen Themenblöcken („Sessions“) zugeordnet: Orte und Fälle von Nuklearschäden; Strahlenbelastung; Kampagnen gegen Atom- und Uranwaffen; Kernenergie).

Über den Fokus auf die Opfer wurde ein breiter thematischer Bogen gespannt, der – letztlich – mit der nuklearen Kette in Verbindung steht. In diesem Zusammenhang betonte M. Mohr in seinem Beitrag, dass der deutsche Atomausstieg erst dann vollendet ist, wenn es zu einer Aufgabe der nuklearen Teilhabe im Rahmen der NATO und einer Schließung der Urananreicherungsanlage in Gronau kommt. Im Übrigen versuchte er, inhaltliche Verbindungsmöglichkeiten über das TRW-Konzept aufzuzeigen – der Beschäftigung mit Umweltzerstörung durch Krieg. Dies passt zum sogenannten humanitären Ansatz, der (auch) bedeutet, dass man im Moment auf perfekte vertragliche Lösungen einer Ächtung von Kern- bzw. Uranwaffen verzichtet und sich auf pragmatische, flexible Annäherungen konzentriert.

Das Forum war geprägt von vielen erschütternden Berichten und frustrierenden Erfahrungen. Das betraf z.B. die Behandlung von Hibakusha der zweiten Generation oder, ganz besonders, den Umgang mit der Katastrophe von Fukushima. Hierzu wurde vom Forum ein spezieller Appell (Never Forget Fukushima, Never Again) verabschiedet, der das Verhalten von TEPCO (Tokyo Electric Power Company) und der japanischen Regierung verurteilt. Scharf kritisiert wird, dass (ausgerechnet) Japan den Export von Nukleartechnologie vorantreibt [Special Appeal].

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Im Laufe des Forums wurden vielfältige Versuche erwähnt, gegen das Verhalten der Behörden (Herunterspielen von Gefahren, Ablehnung von Verantwortlichkeit und Hilfe u.a.m.) gerichtlich vorzugehen, darunter auch mit Sammelklagen. Vielleicht wäre es ratsam, sich einmal über die dabei verwandten juristischen Argumente und gemachte prozedural-taktische Erfahrungen auszutauschen.

Mehrfach Erwähnung fand das von den Marshall Islands vor dem IGH (Internationaler Gerichtshof) angestrengte Verfahren gegen neun Kernwaffenstaaten. Es wird speziell seitens der JALANA verfolgt und unterstützt.

Eine wesentliche Grundlage für ein gerichtliches bzw. rechtliches Vorgehen zur Unterstützung von Nuklearopfern bilden die Menschenrechte. Eine hierauf bezogene Argumentation (Recht auf Leben, Recht auf Gesundheit…) liegt auch dem humanitären bzw. dem TRW-Ansatz zugrunde.

Auch die vom Forum verabschiedeten „Draft elements of a World Charter of the Rights of Nuclear Victims“ gehen von den Menschenrechten aus. Dazu gehören ebenfalls die Rechte der indigenen Völker, die gerade beim Uranbergbau so häufig missachtet werden. Darüber hinaus ist die Rede vom Recht, keiner (unnatürlichen, nicht-medizinischen) Strahlung ausgesetzt zu sein, von Informationsrechten, dem Anspruch auf medizinische Hilfe und Entschädigung sowie dem Verbot, zur Rückkehr in verseuchte Gebiete gezwungen zu werden.

Die Forums-Deklaration selbst bietet eine Zusammenfassung der Diskussionsschwerpunkte und Hauptforderungen. Interessant ist der Hinweis auf einen „militärisch-industriellen-regierungsseitigen-akademischen Komplex“, der mit seiner Unterstützung für die Nuklearenergie menschenverachtend agiert. Die Deklaration fordert die Ächtung von Kern- und DU-Waffen. Von großer Bedeutung ist die Betonung der Rolle von Kunst und Medien bei der Umsetzung der Forumsziele [Hiroshima Declaration].

Speziell zu diesem Zweck – wie auch allgemein im Hinblick auf Nuklearopfer – soll es weiteren Austausch und Vernetzungen geben. Dabei handelt es sich um Prozesse auf einer gewissen Meta-Ebene, bei der aber durchaus auch praktische Erfahrungen einfließen können – etwa der Nutzung von Informationsfreiheits-Instrumenten (Informationsfreiheitsgesetzen) zur Herstellung von Transparenz gegen eine ignorante Bürokratie und Politik. Unterhalb und im Kontext dessen geht es um die Weiterverfolgung konkreterer Ziele wie das der atomaren Abrüstung.