Hinweis: Dieser Artikel wurde von Ute Rippel-Lau (IPPNW) geschrieben und von der Tageszeitung „junge Welt“ (Ausgabe v. 08.09.2023) erstveröffentlicht. Mit der Zustimmung der Redaktion und der Autorin veröffentlichen wir diesen auch auf unserer Website.
Über die Autorin: Ute Rippel-Lau ist Vorstandsmitglied der deutschen IPPNW und arbeitet seit einiger Zeit intensiv zum Thema Uranmunition. Vor diesem Hintergrund haben sich Austausch und Kooperation mit ICBUW entwickelt, was sich in gemeinsamen Aktivitäten (Veranstaltungen u.ä.) niederschlägt.
Für ein völkerrechtliches Verbot von Uranmunition
Nachdem die britische Regierung bereits zusammen mit »Challenger«-Panzern Uranmunition an die Ukraine geliefert hat, planen nun auch die USA, die Ukraine demnächst mit Munition aus abgereichertem Uran auszustatten. Uranmunition stellt aus ärztlicher Sicht eine große Gefahr für die Bevölkerung und die Umwelt dar. Die ärztliche Friedensorganisation Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) fordert zusammen mit der Internationalen Koalition zur Ächtung von Uranmunition (ICBUW) seit langem die weltweite Ächtung dieser Waffe. Uranmunition gilt als eine billige und im militärischen Sinne äußerst »effektive« panzerbrechende Waffe, auf die das Militär im Ukraine-Krieg nicht verzichten möchte. Mit ihrem Einsatz wird die Verseuchung ganzer Landstriche mit uranhaltigem Staub in Kauf genommen. Angesichts strategischer Überlegungen »stören« humanitäre und gesundheitliche Argumente und werden im Interesse der ungestörten Kriegführung von den Kriegsparteien relativiert – mit weitreichenden Folgen.
Verheerende Folgen
Seit Jahrzehnten schon ist Munition mit abgereichertem Uran Bestandteil vieler Militärarsenale – von Großbritannien, den USA, Russland, Frankreich und Griechenland, der Türkei, Israel, Pakistan, Saudi-Arabien und Thailand. Bereits in beiden Irak-Kriegen, 1991 und 2003, in den Balkankriegen und 1999 im Kosovo-Krieg, zuletzt auch in Afghanistan und in Syrien, gab es einen umfangreichen Einsatz dieser Munition mit verheerenden Folgen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt.
Uranmunition ist eine spezielle konventionelle Waffe, bei der die Geschossspitzen mit abgereichertem Uran-238 gehärtet sind. Wegen seiner extremen Dichte und damit Schwere verleiht es dem Geschoss eine hohe Durchschlagskraft. Es durchdringt Panzer und auch Bunker wie weiche Butter. Beim Aufprall entwickeln die Geschosse eine sehr große Hitze von 3.000 bis 5.000 Grad Celsius und entzünden sich dabei selbst. Getroffene Panzer samt ihrer Besatzung brennen aus. Bei der Explosion entsteht ein feines Uranoxid-Aerosol mit Partikelgrößen im Nanobereich, das sich in der Umgebung niederschlägt, aber auch durch Wind über Tausende Kilometer weitergetragen werden kann. Die Partikel befinden sich in der Luft, gelangen über Pflanzen in die Nahrungskette und mit Verzögerung auch ins Trinkwasser.
Das für die Uranmunition verwendete abgereicherte Uran-238 ist ein Abfallprodukt der Urananreicherung. Es fällt sowohl bei der Atomwaffenproduktion als auch bei der zivilen Nutzung von Atomenergie an und ist damit weltweit verfügbar. Natürlich vorkommendes Uran ist ein Gemisch aus 99,3 Prozent Uran-238, 0,7 Prozent Uran-235 und einem zu vernachlässigenden Anteil Uran-234. Da nur das Uran-235 für die nukleare Kettenreaktion und damit für Atomkraftwerke und die Herstellung von Atomwaffen genutzt werden kann, wird es dem Gemisch entzogen. Das übrigbleibende, abgereicherte Uran-238, Depleted Uranium (DU), wird für Uranmunition verwendet. Obwohl Uran-238 ein Alphastrahler ist, können seine Zerfallsprodukte auch Gamma- und Betastrahlung aussenden. Uran-238 hat eine unvorstellbar lange Halbwertzeit von 4,47 Milliarden Jahren. Bei einer so langen Halbwertzeit ist eine »natürliche Dekontamination« der Gebiete ausgeschlossen. Eine Entsorgung der strahlenden und toxischen Rückstände ist so gut wie unmöglich. Trotzdem kommt die Munition weiterhin zum Einsatz.
Verharmlosend wird immer wieder eingewendet, Uran sei schwach radioaktiv und habe nur eine Niedrigstrahlung mit kurzer Reichweite von wenigen Zentimetern in der Luft und wenigen Millimetern im Gewebe. Dadurch sei es insgesamt ungefährlich und würde schon z. B. durch Kleidung abgeschirmt. Diese Betrachtungsweise berücksichtigt jedoch nur die physikalische Aktivität, gemessen in Becquerel. Für die gesundheitlichen Auswirkungen aber ist die biologische Aktivität – gemessen in Sievert – entscheidend. Sie hängt von der Art der Strahlung ab, der chemischen Form der Stoffe, der individuellen Strahlensensibilität (Mann, Frau, Kind, Ungeborenes), der biologischen Halbwertzeit im Körper und schließlich von der Art der Aufnahme. Eine Gefahr für die menschliche Gesundheit besteht insbesondere dann, wenn diese Alphastrahler in den menschlichen Körper gelangen, d. h. durch die Atemluft oder mit Nahrung und Wasser »inkorporiert« werden. Hier genügt auch eine sehr geringe Reichweite der Strahlung, um Zellen zu schädigen.
Uran-238 schädigt die Gesundheit gleich in zweifacher Hinsicht: als hochgiftiges Schwermetall sowie als radioaktiver Alphastrahler. In verschiedenen Studien wurde nachgewiesen, dass sich die Chemo- und Radiotoxizität gegenseitig verstärken, besonders in bezug auf die Entstehung von Tumoren.
Auch Zivilisten betroffen
Wie alle Schwermetalle ist Uran ein Zellgift und in der Lage, Chromosomenschäden zu verursachen. Es schädigt insbesondere die Nieren bis zum Nierenversagen. Dies bekamen IPPNW-Ärzte bei ihren regelmäßigen Besuchen in den 90er Jahren in Basra im Rahmen der Irak-Kinderhilfe bestätigt. Die erkrankten Kinder lebten in DU-verseuchten Gebieten, und viele hatten zuvor mit DU-Geschosshülsen oder auf zerschossenen Panzerwracks gespielt. Uran-238 ist neurotoxisch, schädigt das Nervensystem und das Gehirn, da es die Blut-Hirn-Schranke passieren kann. Ein großer Teil des Schwermetalls wird in den Knochen gespeichert und kann dadurch Leukämie auslösen. Durch die Alphastrahlung wirkt Uran außerdem mutagen und karzinogen. Uran-238 erzeugt so typische Chromosomenschäden, dass sie als biologische Indikatoren für ionisierende Niedrigstrahlung angesehen werden können. Die veränderten Chromosomen müssen als Krebsvorstufen betrachtet werden. Sowohl bei den Balkankriegsveteranen und den Golfkriegsveteranen als auch bei der Zivilbevölkerung kam es zu einem deutlichen Anstieg von Leukämien, Lymphomen und anderen Krebserkrankungen. Uran wirkt sowohl teratogen als auch mutagen – es ist embryo- und genschädigend. Bei den Kindern von Golfkriegsveteranen sowie auch bei Kindern in Basra und Falludscha traten gehäuft Fehlbildungen wie Neuralrohrdefekte, Herzfehler und Missbildungen an den Extremitäten auf.
Zwischen 2004 und 2009 hat sich die Krebsrate bei Kindern in der Stadt Falludscha im Irak um das Zwölffache erhöht, schwere angeborene Fehlbildungen um das 15fache. Die Häufigkeit von Lymph- und Gehirntumoren ist gestiegen. Leukämie erhöhte sich um das 38fache und Brustkrebs um das Zehnfache. Die Stadt hatte 2004 unter wochenlangem Beschuss durch die US-Armee gestanden – Auskunft über die eingesetzten Waffen haben die USA bis heute nicht gegeben. Auch wenn es zusätzliche, ebenfalls kriegsbedingte karzinogene und mutagene Gifte gibt, u. a. Dioxin, gehört abgereichertes Uran in diesen Kriegsgebieten sicher zu den auslösenden Ursachen für die gehäufte Krebs- und Missbildungsrate. Das Gefährdungspotential von DU wird durch Kombination mit anderen Giften infolge von Synergieeffekten weiter gesteigert.
Balkan schwer belastet
Allein im Kosovo-Krieg 1999 wurden von der NATO nach eigenen Angaben ca. zehn Tonnen abgereichertes Uran verschossen, der größte Teil davon im Kosovo. Die italienische Regierung hat 2009 den Zusammenhang von DU-Munition mit bestimmten Krebserkrankungen bei Soldaten, die auf dem Balkan eingesetzt waren, anerkannt und einen Entschädigungsfonds bereitgestellt. Auch beim Militär weiß man um die Gesundheitsgefährdung durch Uranmunition. So erhalten Bundeswehr-Soldatinnen und -Soldaten z. B. detaillierte Schutzvorschriften (Handschuhe, Atemschutzmasken), wenn sie in betroffene Gebiete geschickt werden. Die Bevölkerung jedoch ist dem Uranstaub schutzlos ausgeliefert. Viele Regierungen beteuern mittlerweile, sie würden auf die Produktion von Uranmunition verzichten. Sie verschweigen aber, dass sie ihre Altbestände beibehalten und bevorzugt in die Kriegsgebiete der Welt schicken. Genau das geschieht zur Zeit in großem Maßstab im Ukraine-Krieg in Form von »Ringtauschen«. Verlässliche Informationen zur gelieferten Munition gibt es bisher nicht. Die Bundeswehr besitzt keine Uranmunition. Die inzwischen ausgemusterten »Marder«-Panzer waren mit »Milan«-Raketen ausgestattet. Ob diese Raketen zusammen mit den Panzern in die Ukraine geliefert wurden, ist unbekannt. »Milan«-Raketen enthalten anstatt des Urans radioaktives Thorium, das ebenfalls toxisch ist, aber etwas schwächer radioaktiv – bei einer Halbwertzeit von unvorstellbaren 14,05 Milliarden Jahren. Die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt sind ähnlich katastrophal.
Die Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges fordern schon lange zusammen mit der Internationalen Koalition zur Ächtung von Uranwaffen (ICBUW) das völkerrechtliche Verbot von Uranmunition. Anders als beim UN-Vertrag für ein Verbot von Atomwaffen gibt es für Uranmunition noch kein Vertragswerk, das diese Waffengattung ächtet und verbietet. Der Einsatz von Uranmunition verletzt Standards des humanitären Völkerrechts, des internationalen Menschenrechtsschutzes und des Umweltrechts. »Der Einsatz von DU-Waffen gehört zu den besonders verabscheuungswürdigen Formen der Kriegführung, die den Krieg für unabsehbare Zeit in den Frieden hinein verlängern«, so die ICBUW. Als Ärztinnen und Ärzte liegt es in unserer Verantwortung, an die Bundesregierung zu appellieren, sich für ein völkerrechtliches Verbot dieser Waffen einzusetzen.