15. März 2020
Einführung
Am 15. März 2020 beginnt das zehnte Jahr des Krieges in Syrien und am 18. März wird es das zweite Jahr der militärischen Besetzung des kurdischen Afrins in Nordwestsyrien durch die Türkei sein. Der Krieg in Syrien begann nach einem Protest unbewaffneter Zivilisten für Menschenwürde und Demokratie und der militärischen Unterdrückung dieses Protests im Vorfeld des Arabischen Frühlings.
Der zivile Protest wurde von extremistischen Dschihad-Milizen zur Erreichung ihrer Ziele missbraucht. Die Interventionen internationaler und regionaler Akteure haben den Bürgerkrieg zu einem lokalen „Weltkrieg“ gemacht. Die gewaltsamen Entwicklungen sind Ausgangspunkt großer interner und externer Migrations- und Flüchtlingsströme. Syrien ist weitgehend ruiniert und hat sich in ein Land mit vielen Menschen in Armut verwandelt.
Falsche Versprechungen
Im März 2015 sagte Koalitionssprecher John Moore: „Flugzeuge der USA und der Koalition haben während der Operation Inherent Resolve keine Munition mit abgereichertem Uran im Irak oder in Syrien eingesetzt und werden dies auch in Zukunft nicht tun“. Später im selben Monat sagte ein Vertreter des Pentagon, dass die in der Region stationierten A-10 nicht auf panzerbrechende Munition mit DU zurückgreifen werden, weil der Islamische Staat nicht über Panzer verfüge, die diese durchdringen soll.
US-Beamte haben jedoch bestätigt, dass das US-Militär – obwohl es beteuert hatte, auf dem Schlachtfeld im Irak und in Syrien keine umstrittenen Waffen mit abgereichertem Uran (Depleted Uranium, DU) einzusetzen – Ende 2015 bei zwei viel beachteten Luftschlägen gegen Öltankwagen im vom IS kontrollierten Syrien Tausende von DU-Geschossrunden abgefeuert hat. Die Luftangriffe sind der erste bestätigte Einsatz dieser Waffe seit der Irak-Invasion 2003, bei der Hunderttausende von Geschossen abgefeuert wurden, was zu Empörung bei den lokalen Gemeinden führte, welche behaupteten, dass giftige Überreste sowohl Krebs als auch Geburtsfehler verursachten.
16. und 22. November 2015
Das US Central Command (CENTCOM) teilte Airwars and Foreign Policy mit, dass am 16. und 22. November 2015 5.265 panzerbrechende 30-mm-Geschosse mit DU von A-10-Flugzeugen der amerikanischen Luftwaffe abgeschossen wurden, wobei etwa 350 Fahrzeuge in der östlichen Wüste des Landes zerstört wurden. (s.a. Pressemitteilung ICBUW/IPPNW Deutschland v. 2. November 2016)
Es bleibt unklar, ob die Luftangriffe im November 2015 in der Nähe von bewohnten Gebieten stattfanden. Im Jahr 2003 wurden während der amerikanischen Invasion Hunderttausende von Schüssen in dicht besiedelten Gebieten abgefeuert, was bei der irakischen Zivilbevölkerung tiefe Ressentiments und Angst und – später – Wut auf den höchsten Regierungsebenen in Bagdad auslöste. Im Jahr 2014 äußerte die irakische Regierung in einem UN-Bericht über DU „ihre tiefe Besorgnis über die schädlichen Auswirkungen“ des Stoffes. DU-Waffen, so hieß es, „stellen eine Gefahr für Mensch und Umwelt dar“ und Bagdad forderte die Vereinten Nationen auf, gründliche Studien über ihre Auswirkungen durchzuführen.
Tidal Wave II
Die US-Luftschläge im Jahr 2015 waren Teil von „Tidal Wave II“ – einer Operation, die darauf abzielte, die Infrastruktur zu zerstören, auf die sich der Islamische Staat stützte, um Öl im Wert von Millionen von Dollar zu verkaufen. Das Pentagon sagte, die Angriffe vom 16. November hätten sich am frühen Morgen in der Nähe von Al-Bukamal, einer Stadt im Gouvernorat Deir Ezzor nahe der Grenze zum Irak, ereignet und 116 Tanklastwagen zerstört. Obwohl die Koalition behauptete, dass die Angriffe vollständig auf syrischem Gebiet ausgeführt wurden, befanden sich beide Seiten der Grenze zu diesem Zeitpunkt vollständig unter der Kontrolle des IS. Jeder Schuss von DU auf dem irakischen Gebiet hätte angesichts des Ärgers über den vorherigen Einsatz von DU in diesem Gebiet weitaus größere politische Auswirkungen gehabt.
Der zweite DU-Einsatz am 22. November zerstörte in der Wüste zwischen Al-Hasakeh und Deir Ezzor – beides Hauptstädte der gleichnamigen Gouvernorate – 283 „Daesh Oil Trucks“. CENTCOM und die US-Luftwaffe leugneten zunächst, dass DU abgefeuert wurde, und boten dann unterschiedliche Berichte über die Geschehnisse an, einschließlich eines Eingeständnisses im Oktober 2019, dass die Waffe eingesetzt wurde. Die von der CENTCOM damals bestätigten Einsatzzeitpunkte lagen jedoch um einige Tage daneben. Es ist nun klar, dass die Munition bei den meisten bekanntgegebenen Angriffen von Tidal Wave II eingesetzt wurde.
Weiche Ziele
Die im November 2015 zerstörten Öllastwagen waren ungepanzert und stellten somit ”weiche Ziele” dar. Die Lastwagen waren nach Angaben von US-Beamten höchstwahrscheinlich eher mit Zivilisten als mit Mitgliedern des Islamischen Staates besetzt. Ein Vertreter des Pentagons sagte, die Vereinigten Staaten hätten vor dem Angriff am 16. November Flugblätter abgeworfen, die vor einem bevorstehenden Angriff warnten, um die Zahl der Opfer zu minimieren.
Protest gegen DU-Herstellung und -Verwendung geht weiter
In der Zwischenzeit richtete eine Koalition von 38 Anti-Kriegs-, Anti-Atomkraft-, Umwelt- und Arbeitnehmerorganisationen einen Brief an das US-Energieministerium. Sie fordern: „die Aussetzung der Pläne zur Herstellung von abgereichertem Uran als Rohstoff für die Verwendung in Maschinengewehr-Munition, Panzerartilleriegeschossen, Bunker-Buster-Bombenkomponenten und Panzerung für Militärfahrzeuge … und die Erwägung der endgültigen Aufgabe aller militärischen Anwendungen von DU“.
Fazit
Obwohl wir mit Sicherheit wissen, dass die USA im Syrien-Krieg Waffen mit abgereichertem Uran eingesetzt haben, können wir weiterhin über den möglichen Einsatz von DU durch andere Beteiligte, wie z.B. Russland, nur rätseln. Dieser Mangel an Information und Transparenz gibt Anlass zu großer Sorge.
Der Wiederaufbau Syriens nach dem Krieg besteht nicht nur aus dem Wiederaufbau der materiellen Infrastruktur, sondern auch aus der Bewältigung der religiösen, sozialen und politischen Spannungen, was für den Aufbau einer lebbaren Gesellschaft und Demokratie notwendig ist. Die kontaminierten Gebiete müssen dekontaminiert werden, um den Menschen ein Leben ohne gesundheitliche Probleme durch radioaktive, chemisch giftige Waffen und andere giftige Substanzen zu ermöglichen. Dies kann nur möglich sein, wenn volle Transparenz und ein Informationsaustausch über die Gebiete, in denen diese Waffen eingesetzt wurden, gegeben ist.
Ria Verjauw, ICBUW/Belgische Koalition zur Ächtung von Uranwaffen